Die Zeit des Abbauens für die alten Pfarrersleute nahte heran.
Wohl versah der Pfarrer, noch vollständig bei Kräften, sein Amt, aber Nachwirkungen nach Anstrengungen taten sich in nächtlichen Kopfschmerzen kund.
Er bekam das Angebot von seiner Behörde, einen Pfarrer als Hilfskraft in sein Haus aufzunehmen, so daß er selbst nur die oberen Räume benutzte und sich mehr und mehr von seiner pfarramtlichen Tätigkeit zurückziehen konnte.
Der designierte Pfarrer Steltmann aus Nordhausen kam erst am 12. August 1946 nach Sundhausen. Bis dahin blieb der Hausvater voll und ganz in seiner Amtstätigkeit, die er hier im August 1917 begonnen hatte.
Der Schwiegersohn Werner Lowsky hat die Lehrerwohnung an der Helme bezogen. Es stand nicht das ganze Lehrerhaus zu Verfügung, weil wegen der noch in Kriegsgefangenschaft gehaltenen Lehrer, und weil durch Zuzug geflüchteter Lehrer aus den deutschen Ostgebieten der Dienstwohnungsraum knapp geworden war. Lowskys bewohnten die oberen Räume mit Blick auf die Helme. Das Wohnzimmer war recht gemütlich, nur eine eigentliche Küche war nicht vorhanden.
Am 1. April 1947 ist nun der Hausvater in den Ruhestand getreten, er darf im Hause wohnen bleiben.
Der neue Pfarrer Steltmann, der wegen Parteizugehörigkeit nicht Superintendent in Nordhausen bleiben konnte, zog in das Parterre ein und wurde am Sonntag nach Ostern 47 eingeführt, wobei Pfarrer Karl Sachtleben die Vokation verlas.
Leider stellte Steltmann immer höhere Ansprüche auf Wohnraumplatz, so daß das Verhältnis sich trübt, und das Leben der alten Pfarrersleute eingeengt und dadurch mühsamer verläuft.
Das Zusammenleben des emeritierten Pfarrers mit dem neuen Pfarrer gestaltet sich immer schwieriger, Steltmann wird rücksichtsloser und anspruchsvoller.
Im Sommer 1947 erschien er mit einem Mitglied des Kirchengemeinderates und forderte für seinen Bedarf die beiden größten Räume in der ersten Etage des Pfarrhauses. Meine Frau und ich sollten uns zufrieden geben mit einem kleineren Raume und einer winzigen nicht heizbaren Kammer von zwei Meter Breite.
Ich mußte und konnte das ablehnen, da mir bei der Vorbesprechnung der Pensionierung seitens der Kirchenbehörde das Wohnrecht zugesichert worden war in Räumen, die in Größe und Zustand dem Wohnrecht entsprechen müssen, ferner war mir ein weiterer Raum als Küche fest zugesagt worden.
Während dieser unerquicklichen Verhandlungen erschien - herbeigerufen von Tochter Susanne - Herr Hafermalz aus der Schulstraße als Mitglied der Wohnungskommission und nannte das Gebaren des neuen Pfarrers unmenschlich.
Ich bekam das Recht, zwei gute Räume und Küche zu benutzen.
Es kam zu einem neuen Konflikt, als Steltmann, selbstherrlicher werdend, den Kirchengemeinderat so bearbeitet hatte, daß dieser einen erbärmlichen Beschluß gefaßt hatte und ihn mir zusandte.
In diesem wurde uns vorgeworfen, daß wir ruhestörenden Lärm durch Familie Lowsky duldeten, und Frau Lowsky alt genug wäre, um allein kochen zu können. Auch wurde die Drohung ausgesprochen, mir zu kündigen.
Daraufhin hat Pfarrer Sachtleben Beschwerde eingereicht bei der kommunalen Gemeindevertretung und Steltmann hat einen tüchtigen Rüffel bekommen und versprechen müssen, nie wieder etwas gegen den alten Pfarrer in Szene zu setzen.
Siegfried Sachtleben, unser jüngster Sohn, Dozent an der Musikhochschule in Weimar, verlobte sich am 29. Juni 1947 mit Hildegard Heckerodt, der Tochter des hiesigen Landwirtes Fritz Heckerodt und der Frieda, geborene Tölle. Es war eine glänzende Verlobung, die im Heckerodtschen Hause gefeiert wurde.
Mehrere Arten von Kuchen und der jetzt so selten gewordene Duft von Bohnenkaffee erquickte die Gäste an der festlichen Tafel.
Der Höhepunkt der warmen Speise war der knusprigbraune Gänsebraten.
Aber es fehlte auch nicht an ausdrucksvollen geistigen und musikalischen Genüssen.
Am 2. November 47 war bei Heckerodts Taufe. Der Hausvater, als Vater des jüngst verlobten Sohnes Siegfried, toastete auf das Taufkind, das Pfarrer Steltmann bei Heckerodts getauft hatte.
Die Gattin des Friedrich Heckerodt, Frieda, geborene Tölle, (die Braut des Siegfried Sachtleben, Hildegard, ist deren Tochter) war nämlich nach 18 Jahren noch Mutter eines Stammhalters geworden.
Friedel fährt immer noch jede Woche nach Weimar, um dort seiner Lehrtätigkeit nachzugehen. Über das Wochenende ist er in Sundhausen: Er betreut den Männerchor und spielt die Orgel während des Gottesdienstes.
Im Winter 47/48 müssen wir alten Leute in der Küche wohnen, weil es am Heizmaterial mangelt. Es ist dies im Pfarrhause das Zimmer oben links von der Treppe: ein Fenster befindet sich an der Seite nach Heßlers Garten zu, das andere Fenster gibt den Blick zur Kirche frei.
In demselben Räume schläft auch der Hausvater, der, wenn Ruhe herrscht, wissenschaftliche religiöse Aufsätze niederschreibt oder sich mit alten Tagebüchern beschäftigt (Dec. 47, 75 3/4 Jahre alt).
Vom 20. März bis 21. April 48 waren wir Gäste beim ältesten Sohne Hans im Forsthaus auf der Wilke. Vater und Mutter Sachtleben mußten einfach von Sundhausen abreisen, weil sie kein Holz zum Kochen und Heizen mehr besaßen.
Jeden Tag konnten wir uns gut sattessen, und dann wurden wir alten Leute mit dem Auto ganz von der Wilke bis zur Pfarre nach Sundhausen gefahren.
Durch Hans, den Förster, erhielten wir 15 Meter Holz, das per Bahn transportiert wurde.
Nun ist unser jüngster Sohn, Siegfried, definitiv aus dem väterlichen Hause gezogen, da er am 4. September 1948 die Ehe schloß mit Hildegard Heckerodt, Tochter des Landwirtes Fritz Heckerodt in Sundhausen.
Der Hausvater hielt die Traurede über Ruth 1: "Wo du hin gehst, da will ich auch hin gehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott."
Eine schöne Hausfeier schloß sich an. Auf das Brautpaar toastete der Hausvater, auf die beiderseitigen Eltern Professor Dahlke aus Berlin, der frühere Lehrer des Bräutigams, auf letzteren sprach noch Professor Walter Schulz herzliche Worte und erhob das Glas auf das Brautpaar. In der Kirche sang der hiesige Männerchor. Kirchenmusik und Kammermusik, ausgeführt von den Professoren Dahlke, Schulz und Richter ließen das Fest zu einer erhebenden Feier werden. Lehrer Lowsky hatte als Hochzeitszeitung ein sinniges poetisches Werk über das Leben des Brautpaares verfaßt.
Freude bereitete dem Hausvater das Zusammensein der drei Geschwister Hans Sachtleben, Siegfried Sachtleben und Susanne Lowsky, geborene Sachtleben, und das Mitfeiern der sechs Enkelkinder: Christel und Else Sachtleben, Peter Brügge, Friedrich und Heinrich Sachtleben und Martin Lowsky.