Es war das Jahr 1939, ich war gerade mal 4 Jahre alt, als meine Großmutter an mein Bett kam mit traurigem Gesicht und sagte zu mir, dass heute der Krieg begonnen hat. Ich verstand das noch nicht so recht, aber an ihrem Gesicht konnte ich erkennen, dass es etwas Schlimmes war. Sie erklärte mir dann auch, was Krieg bedeutet. Bald bekam ich es auch zu spüren, als mein Vater eingezogen wurde. Wir wohnten in Sundhausen in der Hauptstraße 5. Das Haus wurde 1601 erbaut und steht heute unter Denkmalschutz. Mein Großvater väterlicherseits besaß die Gaststätte „Zum Deutschen Haus“ in der Hauptstraße Nr. 1 an der Helme. Seit 1949 wohnten wir dann auch dort.
Mit 6,7 Jahren stromerten wir Jungs nun auch überall umher, meist auch mit etwas Älteren. Zum Beispiel an der Südseite des Flugplatzes an der Helme ging der Zaun des Flugplatzes entlang. Gleich dahinter waren Flugzeuge vom Typ Ju 86 abgestellt. Ungefähr alle halbe Stunde kam dort ein Bewacher per Fahrrad vorbei. War der außer Sicht, krochen wir unterm Zaun durch und den größeren gelang es, am unteren Rumpf des Flugzeuges eine Klappe zu öffnen. Es dauerte nicht lange und da waren wir alle im Flugzeug. War der Wachposten wieder in Sicht, waren wir auch schon wieder draußen. Am Rande, sogar außerhalb des Zaunes standen Vierlingsflaks am Helme-Ufer. Wir beobachteten natürlich auch den Flugbetrieb. Unter anderen starteten auch die Vater und Sohn – die sogenannten Mistel-Gespanne. Der Träger war eine Ju 88 und der Aufsitzer meist eine Fw 190 oder eine Me 262. Mit den Flugzeugen kannten wir uns natürlich bestens aus.
Mein Großvater mütterlicherseits war bei der Bahn beschäftigt. Hatte er Sonntags Dienst, brachte ich ihm Essen. Mein Weg von Sundhausen ging erst die Straße (B4) entlang, auch hier reichte der Flugplatz bis an die Straße, (heute Schachtbau und Marktkauf) bis zum Verlobungsweg. Dort an der Nordseite des Fliegerhorstes entlang bis zur Zeppelinbrücke. Dahinter war die Arbeitsstelle meines Großvaters, er bediente dort die Drehscheibe am Lokschuppen. Eines Tages stand ich mit ihm auf der Zeppelinbrücke, als ein Güterzug drunter durchfuhr. Auf jedem Wagon war ein riesiger Eisenklumpen und ein Wachposten. Mein Großvater erklärte mir dann, was das war, es war die V1 oder V2, die vom Kohnstein (Lager Dora) kamen. Auf meinem Heimweg konnte ich einen sechsmotorigen Großraumtransporter, eine Gigant Me 323, im Landeanflug beobachten. Auch ein Gespann Vater und Sohn war wieder in der Luft. Erst dachten wir immer die große Ju bringt die kleine FW in eine gewisse Höhe um sie abzusetzen, damit sie eine größere Reichweite hat. Erst viel später erfuhr ich, dass es anders war. Das ganze Gespann wurde von der Focke-Wulf aus gesteuert, um die Ju unter sich, mit einer Bombe bestückt, auf ein Ziel abzuwerfen.
Auf dem Kesselberg bei Sundhausen auf einem Acker, es muss im Jahr 1943 gewesen sein, musste ein Flugzeug notlanden. Wir Kinder waren natürlich wieder dort.
Neben dem Weg von Sundhausen nach Bielen standen Flugzeugatrappen aus Pappe auf dem Acker, um die feindlichen Flugzeuge zu täuschen. Auch Luftkämpfe haben wir beobachtet. Danach fanden wir dann einige Gurtstücke mit leeren Hülsen. Im Jahre 1944 war bei Heringen ein US-Jagdflugzeug abgeschossen. Auch das mussten wir sehen und liefen dort hin. Es lag mitten auf dem Feld. Bei unseren Spielen in einer der beiden Feldscheunen hinterm Scheunenhof des Gutes von Sundhausen, bemerkte einer von uns, dass in der Scheune oben auf den Strohballen jemand war. Uns kam das nicht geheuer vor. Einer von uns verständigte im Ort jemand, ich glaube einen von der SA, die dann zu zweit mit Karabiner kamen. Und tatsächlich nahmen sie zwei englische Flieger fest. Ob diese Piloten nun von dem Flugzeug bei Heringen stammten, weiß ich nicht.
Wir mussten natürlich auch zu Hause mithelfen. Da galt es zum Beispiel Zuckerrüben putzen, die wir, nachdem das Gut die Felder beerntet hatte, dort noch verbleibende aufsuchen durften. Daraus wurde Saft gekocht. Ein oder zwei Familien im Dorf besaßen eine Presse, welche dann die Runde machte. In derselben wurden die gekochten Zuckerrüben ausgepresst und der gewonnene Saft im Kessel zu Rübensaft gekocht. Ebenfalls kochten wir auch selbst Pflaumenmus. Da an der Helme viele Äpfel- und Pflaumenbäume standen, welche der Gemeinde gehörten, wurden diese vom Bürgermeister, gegen geringes Entgelt, an die Bürger vergeben. Nicht nur die Bäume, sondern auch das Ufer an der Helme wurden aufgeteilt, nun es hatte ja fast jeder auch Vieh zu Hause. Gänse, Enten, Hühner, Kaninchen und auch ein Schwein. Da wurde jedes bischen Futter gebraucht. Ich kann mich erinnern, dass wir bis zum Häselei (ca. 3km) gelaufen sind, um Brennnesseln fürs Vieh zu holen. Auch hatten viele ein Stück Land, eigenes oder gepachtet. Da galt es dann zum Beispiel Kartoffeln stecken, hacken und im Herbst rausholen, aber ohne Maschine, alles per Hand. Ebenso haben meine Großväter den Weizen mit der Sense abgehauen. Die Frauen banden die Garben und wir Kinder halfen beim Aufstellen der Puppen. Das Ganze wurde dann per Hand auf den Leiterwagen geladen und zur Mühle nach Sundhausen zum Dreschen gebracht. Da war jede Hand gefragt.
Dann wurde mein Großvater, (der Gastwirt) mit 60 Jahren noch eingezogen. Das Jahr 1945 hatte begonnen. Der Amerikaner rückte immer näher. Das schlimmste war der Bombenangriff auf Nordhausen. Ich stand mit meinem Großvater auf dem Hof. Über uns zogen die amerikanischen Bomber hinweg von Süd kommend in Richtung Nordhausen. Plötzlich lösten sich kleine schwarze Punkte von den Flugzeugen. Ich dachte erst es seien Fallschirmspringer. Aber dann fing es an zu pfeifen, da wusste ich, dass es Bomben waren. Wir flüchteten so schnell es ging in unseren Keller. Dann nur noch Gekrache und Getöse. Anschließend war über Nordhausen nur noch Rauch zu sehen. Das war am 4. April 1945. Nun wollten die Feuerwerker die Brücke an der B4 im Ort sprengen, um den kommenden Ami auf der Straße aufzuhalten. Wir schauten zu, wie sie die Sprenglöcher bohrten. Nur zur Sprengung kam es nicht, denn plötzlich standen die Amerikaner mit ihren Fahrzeugen vor der Brücke und die Feuerwerker flüchteten. Zwischen unserem Haus und der Bäckerei Benkstein war und ist noch ein schmaler Gang. Dort versteckte sich ein Feuerwerker zwei Tage lang. Der Bäcker brachte ihm etwas zu Essen. Amerikanische Panzer die bei Hain standen, schossen auf Sundhausen. Eine Granate schlug in der Gieckersgasse bei Familie Heckrodt in den Kuhstall ein. Eine weitere im Gutsweg bei Reuters in die Gartenmauer. Frau Limpert, die auf dem Heimweg war, verlor dort ihr Bein. Ich war zu diesem Zeitpunkt mit einem Freund am Wehr der Helme. Wir schmissen uns sofort auf den Boden, als es knallte.
Kurz danach landete eine Fiseler-Storch, ein Amerikaner, auf der Koppel an der B4 (damals noch Kuhweide vom Gut, heute Kiesteich). Er befahl, die weiße Fahne zu zeigen, die daraufhin am Kirchturm aufgehängt wurde. Danach wurde das Feuer auf Sundhausen eingestellt. Nun kamen auch die amerikanischen Panzer aus Richtung Hain. Es dauerte nicht lange, da kamen sie von Nordhausen zurück, weil sie nicht durch die Trümmer kamen. Einige fuhren Richtung Heringen und einige blieben erst mal in Sundhausen. Sie standen auf dem Kesselberg und am Jugendheim. Dort schmissen die Amerikaner Kartons auf einen Haufen und zündeten ihn an. Wir Kinder hatten mitbekommen, dass da auch noch volle Pakete dabei waren. Schnell fischten wir diese heraus und stellten fest das Grieß drin war. Jeder schleppte gleich, soviel er tragen konnte, nach Hause. Somit hatten auch wir einige Mahlzeiten zu Essen.
Die Siegesfeier machten die Amerikaner in der Gaststätte meines Großvaters, der noch in Gefangenschaft war, aber bald heimkam. Es gab ja keine Kohlensäure, um damit das Bier aus den Fässern im Keller hoch zu drücken. Mein Großvater hatte da schon lange eine ganz normale Autoluftpumpe hinter der Theke. Damit haben mein Freund und ich im Wechsel, das Bier hoch gepumpt, damit die Sieger dieses zapfen konnten. Aber um 22.00 Uhr wurden wir von den Eltern weggeholt. Später stellte mein Großvater einen elektrisch betriebenen Kompressor auf, um das Bier hoch zu pumpen, bis es dann wieder Kohlensäure gab.
Nun war ja für uns auch der Flugplatz wieder interessant. In der Halle I, die nur wenig beschädigt war, stand noch eine Focke-Wulf. Wir erkannten diesen Typ schon an ihren O-Beinen. Da musste jeder erst einmal drin gesessen haben.
Uns interessierten Autoreifen, um Schläuche rauszuholen, mit denen wir dann Spaß beim Baden hatten. Weiterhin hatten wir es auf die leeren Flugzeugtanks abgesehen. Jene dienten als Reservetanks und wurden nach der Entleerung einfach abgeschmissen. Es gab da zigarrenförmige und viereckige. Diese zerrten wir über den Flugplatz zur Helme, auf dieser brachten wir die Dinger erst mal nach Hause. Mein Opa half mir beim Aufmeißeln eines zigarrenförmigen Tanks. Somit entstand aus dem Tank ein Paddelboot, das uns Schülern viel Freude auf der Helme breitete. Trotz der schlimmen Zeit hatten wir auch viel Spaß.
Die Zeit der Besatzung der Amerikaner dauerte aber nicht lange. Denn sie tauschten einen Teil von Berlin mit den Russen ein. Also zogen nun die Sowjetsoldaten bei uns ein. Hier zwei spaßige Erlebnisse mit Soldaten.
Neben unserem Haus war die Fleischerei Schuchardt. Die Russen hatten auch diese besetzt und bewacht. Draußen auf der Straße, unserem Küchenfenster gegenüber, stand der Wachposten. Oft beobachteten wir ihn, meine Großmutter und ich. Seine Nase schnäuzte er eben so mit den Fingern. Eines Tages gab ihn meine Großmutter ein frisch gebügeltes gefaltetes Taschentuch. Wir sahen dann, wie er es aus der Hosentasche holte, es auffaltete, reinschnitzte, wieder zusammenfaltete und einsteckte.
Eines Tages stand ich auf dem Hof der Fleischerei und sah zu, wie der Geselle Hardy Ostermann in der Wurstküche Rotwurst aus dem Kessel nahm. Neben mir stand ein Sowjetsoldat, der Kraftfahrer, und schaute ebenfalls zu. Die Wurst wird aus dem kochenden Wasser genommen und kurz durch Kaltes getaucht. Danach kann man sie, auch ohne sich zu verbrennen, kurze Zeit in die Hand nehmen. Hardy, der Fleischer, gab dem Soldat eine Wurst, die er aus dem kalten Wasser nahm, und deutete ihm an er solle sie schnell in die Hosentasche stecken, dass keiner etwas mitbekommt. Ja, das dauerte nicht lange da schrie er los und rannte über den Hof zu seinem Auto. Denn es war ziemlich heiß in seiner Hosentasche geworden.
Was den Flugplatz betrifft, dort standen sechs Flugzeughallen. Nach dem Bombenangriff waren nicht alle zerstört. Nun hat die Sowjetarmee alles gesprengt, was noch stand. Viele Leute, auch Sundhäuser, haben sich von dort Bruchsteine geholt für ihre Häuser.
Bis zu dem Zeitpunkt als Nordhausen zerstört wurde, kamen jeden Morgen per LKW Häftlinge, natürlich mit Bewachung, vom Kohnstein zu Fleischerei Schuchardt zum Arbeiten. Es waren ca. 20-30 Mann. Wenn die Sundhäuser Sirene ertönte, also Fliegeralarm war, zogen die Wachposten mit den Häftlingen raus auf die Felder. Eines Tages kamen die Gefangenen allein zurück, die Wachposten waren getürmt, denn sie hatten wohl mitbekommen, dass die Amerikaner im Anzug waren.
Das Essen war ja immer noch sehr bemessen. Also ging es auf die abgeernteten Felder, wenn sie freigegeben waren, um dort Erbsen und Ähren zu lesen. Eine mühselige Arbeit. Aus den Weizenähren ribbelten wir die Körner raus, um sie zu mahlen, dann gab es auch mal Kuchen.
Im Herbst schauten wir zu, wenn mit den Dampfpflügen gearbeitet wurde. Zum Beispiel stand ein Dampfpflug auf dem Acker neben der B4, wo jetzt die Aral-Tankstelle ist. Der andere weit ins Feld rein, ins jetzige Gewerbegebiet. Mit starken Stahlseilen wurde nun ein sehr großer Pflug, mit ca. 7-10 Scharen, auf dem auch ein bis zwei Leute saßen, von einer Dampfmaschine zur anderen gezogen. Wurde ein Feld gepflügt, wo vorher Kartoffeln drin waren, fanden wir auch noch einige, die wir in einem Feuer, welches uns der Dampfmaschinenfahrer entfacht hatte, garten.
Zurück zum Kuchen. Wurden große Blechkuchen gemacht, brachte man diese zum Bäcker, der buk dann für das halbe Dorf. In Sundhausen gab es vier Bäcker. Die Bäckerei Hoppe, Zehnpfund, Benkstein und Heßler. Um die Kuchen nicht zu verwechseln, steckte jeder einen Pappstreifen mit seinen Namen in denselben. Die Leute hatten aber nicht mit uns gerechnet, meinem Freund, der Enkel des Bäckermeisters und mir. Wir sahen den Meister oft bei der Arbeit zu. Als er einmal rausging, steckten wir die Namensschilder an den Kuchen durcheinander. Man kann sich vorstellen, was beim Abholen der Kuchen in der Backstube los war, aber wir waren verschwunden.
Während der Kriegszeit hielten meine Mutter, meine Großmütter und Tanten die Gaststätte nebst Kolonialwarengeschäft, so gut es ging, aufrecht. Denn die Männer waren ja im Krieg. Es wurden in dem Laden auch Wurstwaren verkauft, die ansonsten mein Großvater selbst herstellte. Nun bezogen wir die Wurst vom Fleischer Döring aus Nordhausen. Seine Fleischerei befand sich in der Weberstraße, gegenüber des Petersberges. Um die Wurst zu holen, zog meine Mutter und ich mit dem Handwagen los. Eine weite Strecke also. Ich kannte mich bald mit den Gepflogenheiten aus und meine Mutter blieb zu Hause, denn mein Freund Hans erklärte sich bereit, mit mir zusammen die Aufgabe zu übernehmen. Oft waren wir zu Hause angekommen, stand der Laden schon voller Leute, wartend auf ein Stück Wurst. Es gab auch einen größeren Kühlschrank im Laden, aber ohne Strombetrieb, sondern er wurde mit Kunsteis gekühlt. Auch das holte ich mit meinem Freund per Handwagen vom Schlachthof.
Mein Vater kam im Mai 1948 aus russischer Gefangenschaft zurück. Mein Onkel kam nicht wieder.
Günther Angelstein
PS: Wir hatten in unserem Haus auch Verwandte aufgenommen, die ausgebombt waren. Aus Nordhausen und aus Kassel. Auf der Südseite des Flugplatzes an der Helme waren zwei Bunker. Darin befanden sich Sprengkapseln, Zündschnur und Handgranaten. Nun wurde ausprobiert was passiert, wenn wir eine Sprengkapsel auf eine Zündschnur steckten, etwa 10 cm lang, und diese ansteckten. Das Ganze erst mal mit Erde bedeckt und gesteckt. Es gab natürlich einen Knall und die Erde flog weg. Einige kamen nun auf einen anderen Gedanken, und zwar, die gezündete Kapsel in die Helme zu werfen. Nach der Detonation kamen dann die Fische hoch. Und schon stand bei manchen zu Hause Fisch auf dem Speiseplan. Nur einmal ging es schief. Einer von uns hielt die Ladung zu lange in der Hand. Er verlor sie. Ein anderes trauriges Ereignis passierte in der Karlsburg. Dort hatten die Amerikaner Munition, darunter auch Nebelgranaten, gelagert. Einige Jungs kamen da sogar ran. Beliebt waren die Nebelgranaten. Zündete man diese an, gab es zwar keinen Knall, aber die ganze Umgebung war vernebelt. Bei einer Zündung verbrannte sich ein Junge aus Sundhausen so sehr, dass er im Krankenhaus verstarb. Das waren die unschönen Dinge dieser Zeit.