Über Sundhausens Entstehung und von seinem Namen

Als unser Dorf 1952 vom ehemaligen preußischen Regierungsbezirk Halle – Merseburg getrennt und dem Bezirk Erfurt in der Deutschen Demokratischen Republik und damit dem thüringischen Lande zugewiesen wurde, kehrte es eigentlich in seine alte Heimat zurück, denn es gehörte in frühester, geschichtlich einigermaßen bekannter Zeit, die man so gern und bequem die Zeit der alten Deutschen oder gar der alten Germanen nennt, zum Reiche der Thüringer, das bedeutend größer war als das heutige Thüringen. Es reichte vom oberen Main bis an den Harz und von der Rhön bis über die Saale, ja wohl bis zur Elbe.

Um das Jahr 500 unserer Zeitrechnung wurde Thüringen von dem Herzog oder König Bisino regiert. An diesen Bisino erinnert noch das Dorf Besenstedt im Mansfelder Seekreis nahe der Saale. Der Name Besenstedt hat also nichts mit einem Besen zu tun, sondern bedeutet Wohnstätte des Bisino. Die westlichen Nachbarn der Thüringer waren schon zu jener Zeit, also vor fast anderthalbtausend Jahren die Franken. Sie wohnten am Main und am Rhein und weit darüber hinaus. Anfangs lebten sie mit den „Thürungen“ im allgemeinen in Frieden. Aber es kam zwischen ihnen, und zwar zwischen ihren Herrscherfamilien zu Zank und Streit. Es machten sich die Franken gegen die Thüringer auf in den Kampf. Das war um das Jahr 500.

Die deutsche Geschichte erzählt: Herminfrid, ein Sohn des Bisino, zog sich nach der ersten Niederlage, die er erlitt, zurück, aber die Franken verzweifelten dennoch am Siege, bis sich ihnen die Sachsen, die nördlich des Harzes wohnten, zur Hilfe anboten. Ein großer Teil Norddeutschlands heißt nach ihnen noch heute Niedersachsen. Beiden verbündeten Volksstämmen gelang es nun, das thüringische Königreich zu stürzen. Sie eroberten im Jahre 531 auch seine letzte Feste, die Burg Scheidungen oder Schiedungen. Herminfried ergab sich und starb nicht lange danach oder wurde ermordet, und die Sieger teilten sich das Land. Den Gau Nordthüringen zwischen Unstrut und Harz, also auch unsere engere Heimat, das Helmeland, erwarben die Sachsen, und der südlich des Thüringer Waldes gelegene Teil wurde an das Frankenreich geschlossen. Nur dem Lande zwischen Unstrut und Thüringer Wald blieb der Name Thüringen erhalten, und die hier wohnende Bevölkerung hat das Volkstum der Thüringer am treuesten erhalten.

Rund 250 Jahre später kamen die Franken zum zweiten Male als Eroberer in unsere Gegend und wurden die Herren. Das war um das Jahr 800, als der Frankenkönig Karl der Große, der von 768 bis 814 regierte und in Aachen residierte, daranging, sich nach dem Vorbilde der römischen Imperatoren zum Cäsar, das heißt zum Kaiser von ganz Westeuropa zu machen. Er und seine Franken aber kamen damals auch als Feinde der Sachsen; denn die Franken waren bereits Christen geworden, während die Sachsen hartnäckig an ihrem heidnischen Glauben und Brauchtum festhielten. Sieger in jahrzehntelangen Kämpfen blieben die Franken, und Karl der Große dehnte sein Herrschaftsbereich auch über uns und unsere Helmegegend und weiter bis über die Elbe aus. So wurde Thüringen eine ostfränkische Mark, d.h. eine Grenzmark, Grenzland gegen die Slaven oder Wenden.

Karl der Große teilte seine Grenzmarken, die von der Nordsee bis Italien reichten, in Gaue ein, legte Heerstraßen an, errichtete an ihnen Reichshöfe, die man sich als befestigte Gutshöfe denken muß, und auch Burgen und schützte so Land und Leute gegen die von Osten her andrängenden Slaven. In dieser Zeit sollen alle Orte mit der Endung „hausen“, also auch Nordhausen und Sundhausen entstanden sein oder mindestens ihre Namen erhalten haben. Natürlich hießen sie in jener Zeit, wo so gut wie noch keiner schrieb, Nerthusen und Sundhusen. Wie weit unser Kampf gegen die Slaven oder Wenden gelang oder auch mißlang, zeigen unsere Nachbarorte Windehausen (=Wendenhausen), Schwenda, was Wendensiedlung am Wasser bedeutet, auch Ascherswenden und andere. Das letztere war ein heute schon längst wieder verschwundenes oder wüstgewordenes Wendendörfchen nahe bei Nentzelsrode. Es ist darum anzunehmen, daß unser Sundhausen und auch Nordhausen um das Jahr 800, und zwar eher früher als später entstanden sind. Sie sind also schon beinahe 200 Jahre älter als tausend Jahre. Daß Nordhausen erst seit 1927 „die tausendjährige Stadt am Harze“ heißt, rührt daher, daß die älteste heute noch vorhandene Urkunde mit dem Namen Nordhausen aus dem Jahre 927 stammt.

Man meint, der Name Sundhausen bedeutet Südhausen im Gegensatz zu Nordhausen, und es scheint auch so zu sein, da es wirklich südlich von Nordhausen liegt. Aber in so früher Zeit, als diese Ortsnamen entstanden, hat es die Wörter Norden und Süden in unserer deutschen oder sächsischen oder thüringischen oder fränkischen Sprache noch gar nicht gegeben. Es ist darum folgende Deutung der beiden Ortsnamen nicht von der Hand zu weisen: Auf dem Nordhäuser Stadtgebiete, wahrscheinlich da, wo sich am Rande des Steilabhanges der Oberstadt das Land dem Blick nach Süden und Westen öffnet und wo später der Königshof und der Dom erbeut wurden, soll sich in vorgeschichtlicher Zeit eine Kultstätte der Göttin Nerthe befunden haben. Also hieße Nordhausen Haus der Nerthe, und die alten echten Nordhäuser sprechen es noch heute „Nerthusen“ aus. Und das im Überschwemmungsgebiet der Helme gelegene „Sundhusen“ bedeutet dann Häuser oder Haus oder Burg am oder im Sumpfe. Die Burg Sundhausen, die gleichzeitig mit den Nordhäuser Befestigungen um 800 entstanden ist, war eine echte Wasserburg, geschützt durch Burgraben rundum und Zugbrücke im schwer zugänglichen Gelände der Helme, ihrer Flußarme und Wasserlachen, „Schillichen“ genannt, gegen die unser Dorf heute noch (1966) ankämpft.

Merkwürdig ist, daß es in unserem Landesbezirk Erfurt noch zwei Dörfer des Namens Sundhausen gibt, das eine bei Langensalza, das andere bei Gotha gelegen, so daß die Post zuweilen Mühe hat, das richtige zu finden. Es wäre interessant zu klären, wie jene Sundhäuser den Sinn der Namen ihrer Heimatorte denken.

Das Wort Sund findet sich übrigens noch in Dänemark, wo es an der Schleswigküste die Halbinsel Sundewitt gibt, was wohl „weißer Sand“ heißt, und wo die Meeresstraße zwischen der Insel Seeland und Schweden der „Sund“ heißt. Ferner heißt der Süden des Elsaß der „Sundgau“, und im Elsaß soll es auch heute noch ein viertes Sundhausen geben.

Über die Herkunft und Bedeutung der Namen Nordhausen und Sundhausen schreibt der Nordhäuser Friedrich Rausch in der ersten Festausgabe der „Nordhäuser Zeitung“ zur Tausendjahrfeier der Stadt Nordhausen vom 30.04.1927 im 79. Jahrgang dieser Zeitung:

(Gekürzt wiedergegeben) In der Urkunde des Sachsenkönigs Heinrich aus dem Jahre 927, auf die wir unsere Tausendjahrfeier gründen, wird unsere Stadt „Northusen“ genannt. Der Name weist zurück in die Vorzeit. Also in die deutsche Vor- und Frühgeschichte müssen wir zurückgehen, um den Schlüssel zur Erklärung des Namens unserer Stadt zu finden. Da, wo heute (d.h. vor der Bombardierung 1945) die Straße „Vor dem Vogel“ abwärts führt und einst ein Bächlein rieselte, haben die ersten Ansiedelungen unserer Stadt zur Jungsteinzeit gelegen. Die an der Hesseröder Straße aufgefundenen Hockergräber beweisen, daß in der Nähe der Zorge, und zwar am Wege nach dem Hohlungsbühel(heute Holungsbügel) steinzeitliche Hütten gestanden haben. - Auf dem Petersberge erkennt man da, wo die alte Stadtmauer am Turnplatz entlangführt nach dem Petrikirchhof zu eine gelinde Erderhöhung. Es sind Reste eines Ringwalls. Unser Petersberg war demnach einst wie etwa die Queste (bei Questenberg im Südharz bei Sangerhausen) oder die Numburg (bei Kelbra) eine Wallburg, und die eingeschlossenen Bergnase des Petersberges hat sehr wahrscheinlich ein Donars – Heiligtum getragen. Als das Christentum eingeführt wurde, setzte man an seien Stelle die Petrikirche. Donar war aber nicht nur der zu fürchtende Donnergott, der die Blitze warf, sondern auch der gütige Gott des Ackerbaus, der den warmen Regen spendete. Ihm zur Seite stellte man die Göttin der fruchtbaren Erde und gab ihr den Namen Erd oder Erte oder Hert oder Herta, auch Nert oder Nerta. Auf dem Petersberg haben wahrscheinlich hohe Eichen gestanden, die die Blitze an sich zogen, wie es heute noch der spitze Petersberger Kirchturm tut (bis 1945).

Neben dem Donarheiligtum, getrennt durch das flache Tal des Rämen, auf dem Vorsprung am Anfang der Schützenstraße war die Kultstätte der Nert. Der Name Nerthus ist belegt durch Tacitus im 40. Kapitel seiner „Germania“. Der Kult dieser Fruchtbarkeitsgöttin bestand hauptsächlich in einem großen Flurumgang im Frühjahr. Dabei wurde ihr Bild auf einem von Kühen gezogenen Wagen durch die Flur geführt, sonst aber in einem „Hus“, im „Nerthus“, verwahrt. Dieses Nerthus wurde zum großen Heilichtum der Gegend. So bekam der ganze im Laufe der Zeit sich entwickelnde Ort den Namen Nerthusen.

Der Name Nordhausen hat somit nicht im entferntesten etwas mit der Himmelsrichtung Norden zu tun. Das Wort Norden ist in der Frühgeschichte bei uns überheupt nicht bekannt gewesen und war auch im frühen Mittelalter, also noch lange nach der Zeit Karl des Großen in unserm Deutschland nicht gebräuchlich. Grimms Wörterbuch nennt den Nordwind althochdeutsch „pisa“. Nordhausen kann somit niemals von der Himmelsrichtung seinen Namen haben.

Die Endung „hausen“ in unseren Ortsnamen soll fränkischen Ursprungs sein, womit also Nordhausen eine fränkische Siedlung wäre. Das muß stark bestritten werden, denn die Franken kamen erst nach dem Jahre 539 in unsere Gegend, also in einer Zeit, in der längst die Anfänge unserer Stadt und damit auch ihr Name bestanden. Sie haben vielleicht nur die Umformung des Namens Nerthus in Nerthusen vorgenommen. Man höre nur einmal auf den Dialekt der Heimat, da hört man heute noch „Nerthusen“.

Nun gar Nordhausen und Sundhausen als Häuser die nördlich und südlich voneinander liegen, gegenüberzustellen, geht nicht an. Die Silbe Sund hängt wohl eher wie im Namen Sondershausen mit „sondern“, aussondern, absondern, abrücken, entfernen zusammen. Sundhausen oder Sundhusen war früher noch viel mehr viel öfter als heute durch das Wasser und die Wasserläufe der Zorge und der Helme von Nerthusen getrennt.

Unsere tausendjährige Stadt hat also keine geringere als die einst hochverehrte altgermanische Göttin Nert zur Namensgeberin.

Karl der Große ließ auch Heerstraßen von einem Reichshof zum anderen anlegen, und es gilt deshalb wohl als sicher, daß um 800 die beiden von Nordhausen gen Osten führenden Überlandstraßen, wenn nicht angelegt, so doch mindestens für den Reit- und Fahrverkehr in einigermaßen brauchbaren Zustand versetzt und in ihm gehalten wurden. Es waren das die alte Landstraße Nordhausen – Wallhausen, die höher am Südhang des Harzes entlangführte als die jetzige, und die am Südhang der Aue verlaufende Straße Nordhausen, Sundhausen, Uthleben, Heringen, Auleben und Tilleda nach Allstedt. Sie überquerte bei uns die tiefgelegene Aue etwa am westlichen Ende (oder Anfang) des Auesees oder seines Sumpfgebietes und führte dann am trockenen Fuße der Windleite nach Osten. Die Burg Sundhausen hatte die Aufgabe, diese Straße zu bewachen und den Verkehr auf ihr in Ordnung zu halten.

Die älteste Urkunde über Sundhausen stammt aus dem Jahre 982, wo es „villa Sundhusen in pago Helmingen“ genannt wird. Genau soll es in der Urkunde heißen: „in villa Sundhusen in pago Helmingen in comitatu Exponis.“ (pagus=Dorf, Gau, Distrikt; comitat=Begleitung, Gefolge, Waffenbrüderschaft). Nach dieser Urkunde schenkte Kaiser Otto II. (973-983) dem Geistlichen Gundhar an der Kirche in Magdeburg ein Gut in Sundhausen. Danach dürfte unser Dorf im Jahre 1982 sein tausendjähriges Bestehen feiern können, wie es Nordhausen bereits 1927 getan hat.

Das erste und älteste feste Gebäude Sundhausens ist sicherlich die Burg gewesen, die vielleicht Sundhus geheißen hat, festes Haus im Sumpfe, gewiß aber nicht Karlsburg und erst recht nicht Feierabendheim Anna Seghers. Das zweite Haus wird die Mühle gewesen sein, die mit einer Bäckerei verbunden war. So war die Ernährung unserer ältesten Sundhäuser Vorfahren gesichert und so entstand unser Dorf.